"Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein"
Much ado about the Bernard Lewis interview in Die Welt, also here the complete article.
“Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein”
Der Islamforscher Bernard Lewis �ber den Zustand der arabischen Welt und warum die Herrscher Israel als Blitzableiter brauchen
von Wolfgang Schwanitz
DIE WELT: Sie erkl�ren in Ihrem j�ngsten Buch “Atat�rks Paradox”: Er habe nach dem verlorenen Krieg die T�rkei gegr�ndet und dem Westen widerstanden, aber Weichen zur Annahme von Vorz�gen der westlichen Zivilisation gestellt. Geht es darum auch im Irak?
Bernard Lewis: Nicht ganz, denn Atat�rk vertrieb die Invasoren, errichtete eine Republik und ging erst dann westliche Wege. Im Irak hingegen ist die Diktatur von au�en beseitigt worden. Aber sie war auch von au�en aufgedr�ngt worden. Saddam Husseins Macht wurzelte nicht in der arabisch-islamischen Kultur. Sie beruhte auf einem europ�ischen Modell, dem der Nazis.
DIE WELT: Wann war das?
Lewis: Im Jahre 1940. Die Franzosen ergaben sich. Die Vichy-Regierung wurde ein deutscher Satellit. Damit standen die franz�sischen Mandatsgebiete von Libanon bis Syrien f�r die Deutschen offen, die sie benutzten, um ihren Einfluss im arabischen Osten zu erweitern.
DIE WELT: Im Irak waren die Deutschen am Anfang erfolgreich.
Lewis: Ja, denn das Regime, dass die Deutschen dort unter Raschid Ali al-Kailani 1941 installiert hatten, war der Gipfel ihres Erfolges. Es war dem Typ nach eine Nazi-Regierung, unterst�tzt von einer nazi-�hnlichen Bewegung, die in die Baath-Partei m�ndete. Die islamische politische Tradition kennt zwar Autokratie und Gehorsam, weist aber Despotismus und Diktatur zur�ck.
DIE WELT: Haben die Reformen seit dem 19. Jahrhundert der Baath-Diktatur den Weg geebnet?
Lewis: Sicher. Im Irak ging es damals um Modernisierung oder Verwestlichung. Europa galt als Modell der Moderne. Aber was hie� das? Die zentrale Autorit�t zu st�rken. Der Staat erhielt mehr Macht. Zugleich wurden die Kr�fte der traditionellen Gesellschaft geschw�cht, die ein Gegengewicht zum Staat gebildet hatten. Beschnitten wurde alles, was von innen organisch gewachsen war: Basar-H�ndler, St�mme, l�ndliche Notabeln und religi�se W�rdentr�ger. Sie alle waren nicht durch den Staat ernannt, sondern ihre F�hrer erwuchsen aus der sozialen Ordnung heraus.
DIE WELT: Wie stehen die Chancen f�r eine Befriedung der Pal�stinafrage ohne Saddam Hussein?
Lewis: Sie haben sich von keinen zu geringen Chancen verbessert. Die Betroffenen sehen mehr, was sie vorher entweder nicht erkannten oder nicht wagten, anzusprechen. Zum Beispiel ergab eine Umfrage in Gaza, wer an der Misere Schuld sei, dass nur noch eine Minderheit auf die Israelis verwies. Fr�her wurde denen alle Verantwortung zugeschoben. Jetzt halten Pal�stinenser ihre eigenen F�hrer f�r verantwortlich. Ein gro�er Fortschritt.
DIE WELT: Spielen die Medien da eine Rolle?
Lewis: Nat�rlich. Israel, so gut oder schlecht es in seiner bunten Zusammensetzung auch sein mag, ist eine Demokratie und offene Gesellschaft. Dar�ber berichtet das Fernsehen in den umliegenden diktatorischen L�ndern. Auf meinen Reisen sah ich, dass Israels Nachbarn den dortigen Meinungsstreit verfolgen. Etwas also, was es bei ihnen so kaum gibt.
DIE WELT: Ist Jassir Arafats Zeit vorbei?
Lewis: Ich hoffe. Aber er hat doch eine bemerkenswerte F�higkeit zum �berleben. Ein Problem ist freilich die Bereitschaft vieler, ihm zu helfen – vor allem in Europa.
DIE WELT: Er ist eine Galionsfigur.
Lewis: Er ist mehr als das. Er �bt die wirkliche Kontrolle aus und erh�lt j�hrlich Millionen Dollar, darunter von der Europ�ischen Union ohne klare Rechenschaft.
DIE WELT: Israels Zaun auf der Gr�nen Linie (Waffenstillstandslinie von 1949, d. Red.) oder auf besetztem Gebiet, ist das der entscheidende Punkt?
Lewis: Die Gr�ne Linie hat wenig Sinn, denn liest man die Waffenstillstandsabkommen von Rhodos nach dem Krieg 1949, so steht dort klar, dies sei die Linie des Waffenstillstandes, kein Grenzverlauf.
DIE WELT: Die UN-Vollversammlung hat den Bau des Zaunes verurteilt.
Lewis: �berzeugender w�re es gewesen, wenn dieses Gremium etwas fairer w�re. Sehr einseitig wies es nur knapp auf das Problem des Terrors und der Selbstmordanschl�ge hin, die der Hauptgrund f�r den Bau dieser Barriere sind. Israel gab es schon lange, aber ohne Zaun. Der ist ein Akt der Verzweiflung, eine Reaktion auf die Anschl�ge. Das h�tte die UNO besser beachten sollen.
DIE WELT: Was sind die Voraussetzungen f�r Verhandlungen zwischen Israelis und Pal�stinensern?
Lewis: Jeder muss die Legitimit�t sowie die staatliche Existenzberechtigung des anderen anerkennen. Wenn es darum geht, wie gro� Israel sein soll oder wie dessen Grenze verl�uft, so ist das verhandelbar. Au�erdem muss dem Terror entsagt werden. In gewisser Weise ist die Pal�stinafrage sehr wertvoll f�r die Regierungen der Region. Der arabische Raum ist wirtschaftlich hinter �quatorialafrika zur�ckgefallen. Die Einwohner wissen das und hegen berechtigte Wut gegen ihre Regierungen. Diese lenken den Zorn auf die Pal�stinafrage. Wenn sie kein Israel h�tten, m�ssten sie es erfinden. Ansonsten tr�fe sie n�mlich der ungeteilte Zorn ihrer Einwohner.
DIE WELT: Wie steht der Iran zu Friedensverhandlungen?
Lewis: Dessen Regierung ist ein Problem, denn sie hilft diversen, sich religi�s definierenden Terrorgruppen in Gaza und Libanon. In Teheran selbst hat man den Islam verdreht. Sie sind dort nicht nur antij�disch, sondern auch antichristlich, obwohl der Koran Toleranz gebietet.
DIE WELT: Sie sahen einst die islamische Revolution von Ayatollah Khomeini 1979 im Iran voraus. Was m�chten Sie heute voraussagen?
Lewis: Eine demokratische Revolution im Iran und im Irak. Ich sehe daf�r origin�re Potenzen. Aber es wird weder schnell noch leicht sein.
DIE WELT: Hat Irans islamische Revolution das Leben verbessert?
Lewis: Nein. Der Lebensstandard verschlechterte sich in jeder Hinsicht. Es gibt weniger Freiheit, einen minderen �konomischen Standard. Vor allem Frauen geht es viel schlechter. Das legale Hochzeitsalter war zuvor 18. In dieser Republik ist es neun Jahre. Sie legalisierten die Verheiratung kleiner M�dchen, islamischen Scharia-Gesetzen folgend.
DIE WELT: Saudi-Arabien lie� einen Ungeist aus der magischen Flasche. K�nnen sie ihn zur�ckholen?
Lewis: Kaum. Die Lage wird angespannter. Extremisten stellen sich auf Webseiten zur Schau. Die wahhabitische Richtung zeigt sich als extrem fanatisch, intolerant und gewaltsam. Das ist nicht der traditionell tolerante Islam. Heute gibt es dort Massaker durch sunnitische Extremisten, die betende Schiiten ermorden. Das ist die neue wahhabitische Version des Islam.
DIE WELT: K�nnte eine bessere Bildung den tiefen Komplex der Araber gegen�ber dem Westen abbauen?
Lewis: Ja, denn es sind begabte Menschen. Fr�her z�hlten sie zu den besten Forschern. Dann fielen sie zur�ck. Ein Grund daf�r ist das Ersterben der Forschung. Im Mittelalter waren islamische Gesellschaften sehr aktiv und kreativ. Warum verharrten dieselben Menschen pl�tzlich im intellektuellen Abseits? Einige sagen, dies war Folge des Verfalls der Wirtschaften. Eine andere Sache: die Entdeckung Amerikas. Dies war sicher eine Ursache, warum Europa voranging. Es entdeckte die Neue Welt, die Gold- und Silberl�nder, die L�ndereien f�r neue Saatg�ter. Dabei machte es technologische Fortschritte und mauserte sich zum modernen Europa. Aber warum haben die Muslime nicht Amerika entdeckt? Sie hatten auch eine atlantische K�ste.
DIE WELT: Europ�er bauten Atlantik-Schiffe, Muslime leichte f�r das Rote Meer und den Indischen Ozean.
Lewis: Genau, als die europ�ischen Schiffe in �stlich-asiatische Gew�sser kamen, hatten sie, gebaut f�r den Atlantik, Vorteile: mehr Kanonen, Besatzung und Fracht.
DIE WELT: War die Behandlung der Frau ein weiterer Punkt?
Lewis: Ja, eine der gr��ten Errungenschaften der Christenheit ist die allgemeine Akzeptanz der Monogamie. Alle anderen Zivilisationen haben Polygamie erlaubt. Das Christentum war die erste Weltreligion, in der nur eine Frau erlaubt wurde. Wie t�rkische Autoren bereits betonten, Frauen sind nicht nur eine H�lfte der Bev�lkerung, sondern sie sind auch die M�tter der anderen H�lfte. Kinder, die mit einer gebildeten Mutter heranwachsen, erreichen sicher mehr im Leben als solche mit einer Analphabetin als Mutter. Trotzdem haben islamische Gebiete ihre Perioden der Bl�te erlebt.
DIE WELT: Vielleicht sind Frauen im fr�hen Islam viel besser als sp�ter behandelt worden?
Lewis: So ist es. In den k�niglichen Familien in Europa waren Frauen und T�chter stets wichtig. M�tter standen im Familienstammbaum. Bei den Osmanen hingegen wissen wir oft nicht, wer die M�tter waren. Sie waren meist namenlose Konkubinen aus dem Harem. Dem war nicht so im fr�hen Islam. Bei den Kalifen und der Umayyaden-Dynastie (von 661 bis 750 n. Chr., d. Red.) etwa waren M�tter freie Damen. Das System des Harems kam sp�ter.
DIE WELT: Der Islam wirkte einst als gro�er Friedensbringer in seinen eigenen R�umen.
Lewis: Sicher, obwohl es nat�rlich auch Kriege untereinander gab, etwa t�rkische Sultane gegen persische Schahs. Aber das war wenig im Vergleich zur Kriegsgeschichte Europas, dessen viele Kriege auch die milit�rische Technologie vorantrieb. Au�erdem mussten Europ�er viele Sprachen erlernen, um sich verst�ndigen zu k�nnen. In islamischen Regionen gab es hingegen drei entscheidende Sprachen: Arabisch, Persisch und T�rkisch. Europ�er mussten aber nicht nur die Sprachen ihrer Nachbarn erlernen, sondern auch die ihrer Vorfahren, um solche Schriften wie das Alte und das Neue Testament lesen zu k�nnen: Hebr�isch und Griechisch.
DIE WELT: Welches Land kann in der Bildung Modell stehen: Irak, Pal�stina, �gypten oder die T�rkei?
Lewis: Vor Jahren h�tte ich auf Tunesien verwiesen, aber dort geht es bergab. Die Regierung wird weniger liberal, mehr autokratisch. Tunesien z�hlte einst zu den Vorreitern von Offenheit, Erziehung und Frauenrechten. Nun geht es r�ckw�rts, im Gegensatz zu Marokko.
DIE WELT: Der Kampf gegen al-Qaida – wird er Jahrzehnte dauern?
Lewis: Ich glaube, dass es ein langer Prozess ist und die Ergebnisse keineswegs sicher sind. Man muss die M�glichkeit einkalkulieren, dass al-Qaida gewinnen k�nnte. Sie haben viele Verb�ndete im Westen, bewusste und unbewusste. Zu den bewussten z�hle ich die wachsenden islamischen Minderheiten und Konvertiten Europas. Es verh�lt sich �hnlich wie damals mit dem Kommunismus, der Unzufriedenen im Westen gefiel, da er ihnen eindeutige Antworten zu geben schien. So hat auch der radikale Islam Anziehungskraft auf Menschen. Er vermittelt ihnen �berzeugungen und Gewissheiten, ja gibt ihnen den Sinn einer Mission. Sie erscheinen vereint, die Demokratien aber tief gespalten.
DIE WELT: Also kommt ein globales islamisches Reich?
Lewis: In Demokratien scheint man einander mehr zu hassen als �u�ere Gegner. Die Schw�che und Spaltung scheinen die westliche Seite zu beherrschen. Die Politik in Europa ist da nicht gerade hilfreich, insbesondere nicht die franz�sische und die deutsche Politik
DIE WELT: Ist al-Qaida noch stark genug f�r einen �hnlichen Schlag wie am 11. September 2001?
Lewis: Oh, ja. Davor gab es eine lange Folge von Angriffen auf die amerikanischen Einrichtungen. Radikale wurden ermutigt, da eine wirksame Gegenwehr fehlte. Nach dem 11. September waren sie schockiert �ber die H�rte der neuen US-Administration in Afghanistan und Irak. Dann sah al-Qaida in westlichen Debatten Schw�che und Spaltung. Nat�rlich f�hlen sie sich ermutigt und begannen wieder, darunter in Spanien, das dann seine Truppen aus Irak abzog. Zweifellos k�nnten weitere Anschl�ge folgen.
DIE WELT: Welche Ursache hat die Spaltung zwischen USA und EU?
Lewis: Im Hinblick darauf k�nnte sich die EU als Neidgenossenschaft umbenennen. Es ist ja sehr erkl�rlich, dass Europ�er gegen�ber Amerika Vorbehalte hegen, dass sie ja weit �berfl�gelt hat. Deswegen verstehen Europ�er die Muslime gut, die sich gegen�ber Amerika so �hnlich f�hlen.
DIE WELT: Worin k�nnte die Spezialit�t einer deutschen Nah- und Mittelostpolitik liegen?
Lewis: (lacht) In der Weisheit, das Gef�hlsbetonte und das Irrationale der franz�sischen Politik auszubalancieren.
DIE WELT: Wird die EU ein globales Gegengewicht zu Amerika bilden?
Lewis: Nein. Neben den Vereinigten Staaten werden k�nftig globale Spieler China, Indien und m�glicherweise ein gesundetes Russland sein. Sicher wei� niemand, welcher Art die Macht in Moskau sein wird, aber gewiss nicht kommunistisch. Europa wird Teil des arabischen Westens sein, des Maghrebs. Daf�r sprechen Migration und Demografie. Europ�er heiraten sp�t und haben keine oder nur wenige Kinder. Aber es gibt die starke Immigration: T�rken in Deutschland, Araber in Frankreich und Pakistaner in England. Diese heiraten fr�h und haben viele Kinder. Nach den aktuellen Trends wird Europa sp�testens Ende des 21. Jahrhunderts muslimische Mehrheiten in der Bev�lkerung haben.
Mit Bernard Lewis sprach in Princeton Wolfgang G. Schwanitz.
Artikel erschienen am Mi, 28. Juli 2004
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